Von Mensch zu Mensch
In der Antike formulierte Aristoteles einige Jahrhunderte vor Christus, dass der Mensch andere Menschen braucht. Ohne Gesellschaft kann er nicht leben und überleben.
Später, im Mittelalter, wird Kaiser Friedrich II. ein Experiment zugeschrieben, bei dem Waisenkinder (Neugeborene) zwar mit Nahrung versorgt und auch gewaschen wurden, aber jegliche zwischenmenschliche Interaktion verboten wurde. Er wollte damit herausfinden, welches die dem Menschen angeborene Sprache ist. Das Ergebnis: alle Kinder starben. Ohne Berührungen, die Wärme einer liebenden Person und jeglichen Austausch kann der Mensch nicht sein.
Diese Überlegungen und Erkenntnisse heute nicht zu vergessen ist umso wichtiger. Immer mehr Menschen kommen nicht mehr am Arbeitsplatz zusammen. Wobei das Wort „Arbeitsplatz“ ja so viel mehr beinhaltet, als der reine Platz, an dem der Mensch seine Arbeit ableistet. Er dient ja nicht nur dem Erledigen von Aufgaben, sondern auch dem Austausch über Privates und der Definition von Gruppengefügen. Und ich behaupte, dass dies auch einen entscheidender Faktor für große Erfolge ist.
Viele Dinge werden aber nicht mehr von Angesicht zu Angesicht besprochen und ausgehandelt. Ich denke, dass das nicht bei allem notwendig ist, besonders wenn die Rollen definiert sind und es um einen Austausch von Daten und Fakten geht. Sollen aber neue Ideen und Projekte entwickelt werden, ist sicherlich der produktivere Prozess der einer echt zusammenkommenden Gruppe. Diese durchläuft, bis sie sich zur echten Hochform entwickelt, verschiedene Phasen, die aber unabdingbar sind, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Wer hat welche Aufgabe? Wer ist wozu geeignet? Gibt es Synergieeffekte, die man nutzen kann? Diese Prozesse laufen aber nicht bewusst ab und können nicht vorher festgelegt und besprochen werden, sondern geschehen in einem natürlichen Fluss. Als Mensch mit einer gewissen Lebenserfahrung ist man unterbewusst in der Lage bei dem Gegenüber Mikroausdrücke wahrzunehmen und einzuordnen. Diese helfen Stimmungen zu erkennen, die nicht verbal ausgedrückt werden. Und davon hängt auch in vielen Fällen die Reaktion ab. Sollte jemand verunsichert sein und sich hilflos fühlen, dann verbalisiert diese Person das nicht unbedingt, um zum Beispiel in einer Gruppe das Gesicht zu wahren und nicht inkompetent zu wirken. Die anderen Teilnehmer nehmen dies aber vielleicht wahr und versuchen diese Person subtil und ohne eine Degradierung im Gefüge zu unterstützen.
Vieles wird im Moment nicht mehr face to face verhandelt. Und da beginnt die Schwierigkeit.
Ich befand mich neulich in einer Videokonferenz, in der sich nicht alle Teilnehmer per Bild dazugeschaltet hatten. Es ging um die Präsentation neuer Ideen. Diese wurden durch einen geteilten Bildschirm präsentiert, so dass in dem Moment keiner der Teilnehmer zu sehen war. Die erste Schwierigkeit bestand schon darin, dass der Moderator nicht an den Blicken der Teilnehmer erkennen konnte, ob das Tempo angemessen ist.
Und wie oft ist man nicht ehrlich und lässt es einfach geschehen, weil man die Gruppe nicht aufhalten möchte? Oder geht es vielleicht anderen auch so?
Manchmal genügt ein Blick in die Runde, um einen Konsens mit Anderen festzustellen.
Mir als Teilnehmerin fiel es schwer, den richtigen Zeitpunkt für eine Zwischenfrage zu finden, ohne jemanden zu unterbrechen. Mir fehlten einfach die Signale, wann eine Intervention in Ordnung ist. Auch ist es bei Zwischenfragen ohne Bild dann schwer zu erkennen, welches Motiv der Sprechende hat: Findet die Person den Punkt so interessant, dass er vertiefende Informationen möchte? In diesem Fall impliziert dies eine Zustimmung und die Antwort findet auf der Sachebene statt.
Oder ist die Frage so ausgerichtet, dass sie vielleicht noch nicht bedachte Aspekte beleuchtet? Dann kann das auch bedeuten, dass es hier um das Aushandeln von Positionen im Gefüge geht und sich mehr auf die Beziehungsebene bezieht. Ohne Bild, und ich behaupte auch gewagt, ohne die Vibes, Resonanzen oder Schwingungen, die von einer solchen Situation ausgehen, ist es manchmal schwierig dererlei, besonders, wenn man sich nicht gut kennt, zu deuten und zu verstehen.
Deshalb: Wagen Sie es sich zu zeigen! Nutzen Sie die Stärke, die Sie noch gegenüber einer KI haben: Seien Sie ein Zoon Politikon, ein soziales und gemeinschaftsbildendes Wesen. Denn der Mensch braucht den Menschen, um zu überleben. Und wenn Erfolge mit Menschen geteilt werden, die einem wirklich wichtig sind, dann werden sie erst zu echten Erfolgen!